Zurück zur Übersicht

Jahreszeiten des Alterns: Wie schreitet das Altern voran?

Ist das Altern ein linearer oder ein nicht-linearer Prozess?

Dr. Gwen Bingle
|
7.19.2024

Kann das Alter Sie plötzlich treffen?

Stellen Sie sich kurz vor, Sie sind Franzose/Französin. Sie treffen z. B. eine/n ehemalige/n Lehrer/in oder Partner/in auf der Straße und stellen fest, dass er/sie plötzlich (oder deutlich) gealtert ist. Später berichten Sie einem Freund von dem Vorfall und sagen: „Oh là là, il/elle a pris un coup de vieux!“, was so viel heißt wie „Oh je, er/sie hat vom Alter(n) einen Schlag abbekommen.“

Natürlich ist es oft einfacher, (auffällige) Alterungserscheinungen bei anderen zu erkennen – vor allem, wenn man ihnen selten begegnet. Aber irgendwann werden die meisten von uns mit einem wenig schmeichelhaften Foto oder einem brutal ehrlichen Spiegelbild konfrontiert worden sein und sich fragen, wann uns das Altern eigentlich „getroffen“ hat.

Heißt das nun, dass das Alter uns wie ein Lastwagen überrollt, oder schleicht es sich unbemerkt an uns heran, bis besondere Umstände uns die Augen öffnen? Bewegt sich das Altern in Jahreszeiten? Und wenn ja, hat es einen erkennbaren Rhythmus?

Stetige Entwicklung versus schubartige Wellen

Das sind Fragen, mit denen sich die Altersforschung seit einigen Jahren zunehmend beschäftigt. Während einige Alterungsprozesse kontinuierlich bzw. regelmäßig abzulaufen scheinen (z. B. die Verkürzung der Telomere oder die Erschöpfung der Stammzellen), scheinen andere in Schüben zu verlaufen – entsprechend den sichtbaren oder unsichtbaren Altersübergängen, wie z. B. der Menopause oder dem Verlust von Nervenzellen im Darm. Tatsächlich mehren sich die Hinweise darauf, dass sogenannte „Nichtlinearitäten“ beim Altern eher die Regel als die Ausnahme sein könnten.

Eine Studie in Nature Medicine (Lehallier et al., 2019), die sich auf menschliche Plasmaproteom-Profile stützt, konnte beispielsweise zeigen, dass es in den vierten, siebten und achten Lebensjahrzehnten Veränderungswellen im Proteom gibt. Bis vor kurzem gab es jedoch nur wenige Studien über epigenetische Nichtlinearitäten.

Mausdarm-Rhythmen

Eine neuere, in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlichte Arbeit (Olecka & al., 2024) befasst sich mit der Alterung des Mäusedarms anhand der Methylierung. Dieses Gewebe wurde ausgewählt, weil es eine breite Darstellung des Alterungspanoramas bietet. Tatsächlich weist es zahlreiche biologische Funktionen auf, die „altersbedingte Veränderungen erfahren“ und „das Auftreten altersbedingter Phänotypen in anderen Organen wie dem Gehirn, dem Herzen oder dem endokrinen System“ beeinflussen.

Genau wie beim Proteom konnten die Autoren abrupte Methylierungsveränderungen in zwei verschiedenen Zeiträumen feststellen: in der frühen bis mittleren Lebensphase und in der mittleren bis späten Lebensphase. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass „die Existenz von Übergängen zwischen diskreten Phasen die eher kontrollierte oder sogar programmierte Natur des epigenetischen Alterns offenbart und Fragen über die Regulierung und die Konsequenzen dieser abrupten Veränderungen aufwirft“, insbesondere auf funktioneller Ebene.

Unheilvolle Geburtstage und nicht-lineares Altern

Noch aktueller ist eine Studie aus Nature Aging (Shen & al., 2024). Das Forschungsteam führte eine humane Längsschnittstudie mit einer kleinen kalifornischen Kohorte von insgesamt 108 Teilnehmern durch. Der Studienansatz war ein beeindruckend tiefgreifendes und umfassendes Multi-Omics-Profiling, das unter anderem Proteomik-, Metabolomik- und Lipidomik-Testungen umfasste – aber keine epigenomische Untersuchungen.

Auffallend war, dass das Team zwei große Wendepunkte im menschlichen Altern ausmachen konnte, die sich durch deutliche Beschleunigungen im Alter von 44 und 60 Jahren auszeichneten. Der Übergang im Alter von 44 Jahren war durch Veränderungen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie beim Lipid- und Alkoholstoffwechsel gekennzeichnet, während Immunregulation, Kohlenhydratstoffwechsel und Nierenfunktion die Hauptthemen beim 60. Geburtstag waren. Spannenderweise stellten die Forscher fest, dass die meisten Moleküle (81,0 %), die untersucht wurden, nichtlineare Muster aufwiesen. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass das Fortschreiten des Alterns eher von konvergierenden systemischen Schüben als eine langsame und regelmäßige Progression der einzelne Marker charakterisiert wird.

Einblicke in programmiertes Altern?

Natürlich geben diese ersten Ergebnisse einen noch beschränkten Einblick in die wahrscheinlichen Auswirkungen des nichtlinearen Alterns beim Menschen. Wenn jedoch weitere Studien am Menschen durchgeführt werden können, könnten sie dazu beitragen, Diskrepanzen in der epigenetischen Alterung zu erklären, die unabhängig von Lebensstilfaktoren oder zugrundeliegenden gesundheitlichen Problemen erscheinen. Darüber hinaus könnten sie vielversprechende Wege für gezielte Interventionen zur Verlangsamung des Alterungszyklus eröffnen!

Dieser Artikel wurde am 10.10.2024 geändert, um die neuesten Forschungsergebnisse zu berücksichtigen.

++++

Quellen

Lehallier, B., Gate, D., Schaum, N. et al. Undulating changes in human plasmaproteome profiles across the lifespan. Nat Med 25, 1843–1850 (2019). https://doi.org/10.1038/s41591-019-0673-2. Online: https://www.nature.com/articles/s41591-019-0673-2

Olecka, M.,van Bömmel, A., Best, L. et al. Nonlinear DNA methylation trajectories in aging male mice. NatCommun 15, 3074 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-47316-2. Online: https://www.nature.com/articles/s41467-024-47316-2

Shen, X., Wang, C., Zhou, X. et al. Nonlinear dynamics of multi-omics profiles during human aging. Nat Aging (2024). https://doi.org/10.1038/s43587-024-00692-2. Online: https://www.nature.com/articles/s43587-024-00692-2

Abbildung

download-a-pic-donate-a-buck / pexels

BEITRAG VON
Dr. Gwen Bingle
epiAge Deutschland Content & Customer Relations
Zurück zur Übersicht
© epi-age.de 2024