„kurz & knapp“-Folge 5 zu „Healthspan“ verpasst? Hier können Sie die Lektüre nachholen …
Genetik? Wenn Sie in den 1950er- oder 60er-Jahren aufgewachsen sind, war Ihnen der Begriff wahrscheinlich entweder unbekannt oder er hatte noch einen deutlichen Science-Fiction-Beigeschmack. Heute kennen sogar Kinder den Begriff und können ihn womöglich noch mit DNA, Code oder XX versus XY in Verbindung bringen.
Aber Epigenetik?
Für die meisten Menschen (und nicht nur für Kinder) bleibt sie ein Rätsel, auch wenn man ihr immer häufiger im Wissenschaftsteil der Tageszeitung begegnet.
Warum ist das so? Weil das Fachgebiet sehr komplex und noch recht jung ist. Und das spiegelt die rasanten technologischen und analytischen Innovationen in dem Bereich wider.
Kehren wir also zu den Grundlagen zurück und definieren wir zunächst „Genetik“, denn man kann „Epigenetik“ nicht verstehen, wenn „Genetik“ noch etwas unklar ist. Bei epiAge halten wir es gerne einfach („kurz & knapp“, erinnern Sie sich?), daher gefällt uns die Wikipedia-Definition ganz gut:
„Genetik ist die Lehre von den Genen, der genetischen Variation und der Vererbung in Organismen.“
Mit anderen Worten konzentriert sich die Genetik auf die biochemischen Informationen oder Baupläne, die Lebewesen formen oder ausmachen und die vererbt werden. Diese Baupläne sind relativ stabil (Hardware), unterliegen jedoch ständig Mikroveränderungen oder sogenannten Mutationen, insbesondere bei der Zellteilung (Mitose).
Diese Definition spiegelt sich im griechischen Ursprung des Wortes „Genetik“ wider: genetikos (γενετικός: Genitiv oder generativ) oder Genese (γένεσις: Ursprung). Unsere Gene sind also mit unserem Ursprung verbunden und stellen eine Form des Erbes dar. Und genau wie ein materieller Gegenstand, den man von seinen Eltern geerbt hat, bleiben sie relativ stabil, auch wenn der Lauf der Zeit und die Umwelt ihre Struktur und/oder ihr Aussehen auf lange Sicht beeinflussen können.
Das Präfix „epi-“ stammt ebenfalls aus dem Griechischen (ἐπι) und bedeutet „über“, „außerhalb von“, „um“ oder „rund um“. Etymologisch gesehen könnte man also sagen, dass die Epigenetik die Wissenschaft „über den Ursprung hinaus“ ist. Sie weist auf eine Ebene der Aktivität um oder außerhalb der Gene hin.
Und genau darum geht es bei der Epigenetik. Sie ist der Zweig der Biologie, der sich auf das System biochemischer Schalter (z. B. Methylierung, Histonmodifikation usw.) konzentriert, die bestimmte Gensequenzen aktivieren oder stilllegen, ohne sie zu verändern.
Und diese Aktivierung oder Stilllegung wird durch ein Geflecht innerer und äußerer Umweltfaktoren, die Lebewesen umgeben und bestimmen, gesteuert.
Im Falle des Menschen kann man mindestens vier Metaebenen der Umwelt unterscheiden:
· die genetische Umwelt (ja, es gibt eine Wechselwirkung zwischen Epigenetik und Genetik),
· die bio-psycho-soziale Umwelt (Erziehung, Lebensgeschichte/persönliche Erfahrungen, Verhalten, Krankheiten, Bewegungsmuster, Schlafrhythmen, Stressregulierung usw.),
· die sozioökonomische Umwelt (einschließlich Faktoren wie Armut/Wohlstand, Wohnsituation, Ernährung, Bildung, Berufswahl usw.)
· und die physische oder geografische Umwelt und ihre verschiedenen Eigenschaften (z. B. Klima, Toxine, Krankheitserreger usw.).
Während sich die Genetik also in erster Linie auf die festen Merkmale oder die Hardware eines Individuums wie Körpergröße, Augenfarbe oder Blutgruppe konzentriert, untersucht die Epigenetik (potenziell) veränderlichere oder flüchtigere Merkmale, die man als Software bezeichnen könnte. Einige epigenetische Merkmale werden jedoch an die nächsten Generationen weitergegeben, wie z. B. der Schutz vor oder die Neigung zu bestimmten Krankheiten oder die Auswirkungen von chronischem Stress oder Traumata.
Die Auswirkungen der Unterscheidung zwischen Genetik und Epigenetik, d. h. zwischen (relativ) festen Merkmalen und (potenziell) vorübergehenden oder reversiblen Eigenschaften, sind riesig. Tatsächlich entwickeln sich Gene im Laufe der Zeit sehr langsam und Individuen haben kaum oder gar keinen bewussten Einfluss auf sie. Dagegen können Individuen ihre Epigenetik durch Umweltveränderungen durchaus beeinflussen.
Sie können sich beispielsweise dafür entscheiden, die chemische Belastung Ihrer unmittelbaren Umgebung zu reduzieren, indem Sie Ihre Ernährung auf natürlichere Lebensmittel umstellen oder auf mildere Reinigungs- und Pflegeprodukte umsteigen. Und das hat eine epigenetische Auswirkung!
Kurz gesagt hat die Epigenetik einen großen Einfluss darauf, wie Ihre Gene sich ausdrücken (oder nicht). Und zu einem großen Teil haben Sie die Fernbedienung in der Hand, da epigenetische Merkmale potenziell reversibel sind!
Neugierig, was das konkret bedeutet? Lesen Sie unseren nächsten „kurz & knapp“-Beitrag über das biologische Alter.
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Quellen und weiterführende Literatur
“Genetics”. Wikipedia. Online: https://en.wikipedia.org/wiki/Genetics
Zhang, Sarah, “Your Body Acquires Trillions of New Mutations Every Day. And it’s somehow fine?”. The Atlantic. May 7, 2018. Online: https://www.theatlantic.com/science/archive/2018/05/your-body-acquires-trillions-of-new-mutations-every-day/559472/
“What is epigenetics?”. Medline Plus. NIH National Library of Medicine. Online: https://medlineplus.gov/genetics/understanding/howgeneswork/epigenome/
„Epigenetics“. Encyclopedia Britannica. Online: https://www.britannica.com/science/epigenetics
Epigenetics, Health, and Disease. CDC [Center for Disease Control]. Online: https://www.cdc.gov/genomics-and-health/epigenetics/index.html
“Epigenetics and Child Development: How Children’s Experiences Affect Their Genes”. Center on the Developing Child. Harvard University. Online: https://developingchild.harvard.edu/resources/what-is-epigenetics-and-how-does-it-relate-to-child-development/
Baduel, P., Sammarco, I., Barrett, R., Coronado-Zamora, M., Crespel, A., Díez-Rodríguez, B., Fox, J., Galanti, D., González, J., Jueterbock, A., Wootton, E., & Harney, E. (2024). The evolutionary consequences of interactions between the epigenome, the genome and the environment. Evolutionary Applications, 17, e13730. https://doi.org/10.1111/eva.13730. Online: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/eva.13730
„Epigenetics“. Wikipedia. Online: https://en.wikipedia.org/wiki/Epigenetics
“Transgenerational epigenetic inheritance”. Wikipedia. Online: https://en.wikipedia.org/wiki/Transgenerational_epigenetic_inheritance
Abbildung
pixabay & epiAge