„Wenn Sie fragen, was der wichtigste Schlüssel zu einem langen Leben ist, würde ich sagen, dass es die Vermeidung von Sorgen, Stress und Anspannung ist. Und wenn Sie mich nicht gefragt hätten, würde ich es trotzdem sagen.“
Sprichwörtlich kommen harte Wahrheiten oder große Weisheit unverblümt aus Kindermund. Aber auch von älteren Menschen können wir wertvolle Einsichten gewinnen – selbst von denen, die vielleicht nicht als Experten auf dem jeweiligen Gebiet gelten. George Burns [1896-1996], der amerikanische Komiker, Schauspieler, Autor und Sänger, ist das beste Beispiel dafür. Er war für seinen scharfen Verstand ebenso wie für seine Langlebigkeit bekannt, und das obige Zitat spiegelte seine Laienperspektive über die wichtigste Voraussetzung für ein langes Leben wider.
Bei einem Mann, dessen gesunde Lebensführung als strittig bezeichnet werden kann (Burns war sowohl für seine beeindruckende Sportlichkeit als für seine Zigarrenleidenschaft bekannt), könnten wir versucht sein, seine Weisheit abzutun.
Aber wir würden uns gewaltig täuschen.
Natürlich kann die Bedeutung von angemessener Ernährung, regelmäßiger Bewegung und ausreichendem Schlaf – bei gleichzeitiger Einschränkung von Genussmitteln – nicht genug betont werden, wenn es um gesunde Langlebigkeit geht! Und es gibt bereits mehrere Medienkanäle, die diese Säulen der öffentlichen Gesundheit fördern.
Aber wenn Sie in den vergangenen Jahren nicht hinter dem Mond gelebt haben, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass immer häufiger über Stress, Anspannung, Burn-out, Trauma, psychische und neurologische Erkrankungen sowie über neurologische Entwicklungsstörungen (mit ihren psychischen Begleiterkrankungen) berichtet wird. Auch werden diese oft als zentrale Faktoren für vorzeitiges Altern bezeichnet.
Ist das der Grund, warum scheinbar „jede/r“ sich selbst plötzlich outet, indem er/sie zugibt, an Burnout, Depressionen, Neurodiversität oder an den Folgen belastender (Kindheits-)Erlebnisse zu leiden?
Vielleicht ist es nur der Versuch, die neuromentale* Gesundheit im Spektrum der Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion zu verankern. Auch könnte es ein weiteres inneres Territorium sein, das vom (sozialen) Medienmonster annektiert wurde, um die exhibitionistisch-voyeuristischen Instinkte zu wecken, die in vielen von uns schlummern.
Wir möchten aber voraussetzen, dass wenn ein Promi gesteht, bipolar zu sein, weit mehr dahinterstecken könnte als „nur“ Aktivismus, Policy-Making oder einfach Klatsch.
Der Zeitgeist mag diese Betonung auf neuromentale Gesundheit als Schlüssel für Gesundheit und Langlebigkeit gefördert haben, die Wissenschaft holt aber definitiv auf und bietet uns zunehmend harte Fakten.
Doch bevor wir uns mit den Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf die menschliche Biologie befassen, lohnt es sich, kurz darauf einzugehen, warum die neuromentale Gesundheit zur ultimativen Herausforderung für Gesundheit und Langlebigkeit geworden ist.
Tatsächlich berichtete die britische Tageszeitung The Guardian noch im Jahr 2009 über eine nationale Umfrage, aus der hervorging, dass mehr Menschen bereit wären, sich als schwul, alkoholabhängig oder pleite zu bekennen, als ein psychisches Problem öffentlich preiszugeben.
Diese bemerkenswerte Erkenntnis verdeutlicht eine sehr verständliche Abneigung, sich dem düsteren Gespenst von Arbeitslosigkeit, Partnerschaftsproblemen und sozialer Isolation zu stellen – um nur einige Aspekte potenzieller Diskriminierung infolge psychischer Probleme zu nennen.
Mehr als anderthalb Jahrzehnte später sind wir bislang nicht ganz über den Berg, aber die Anzeichen sind vielversprechend: von Pionieren wie Jim Carrey und J.K. Rowlings, die Anfang der 2000er-Jahre ihre Depressionen thematisierten, hin zu Lady Gaga, Emma Stone oder Trevor Noah, die sich vor kürzerem zu PTBS, Angststörung oder ADHS bekannten. Ganz zu schweigen von der Welle der öffentlichen Sympathie und Unterstützung, die Lewis Capaldi überkam, als er 2023 bei einem Auftritt in Glastonbury einen Tourette-Anfall erlitt.
Natürlich könnte man einwenden, dass diese Prominenten es sich „leisten“ können, über ihre Probleme zu sprechen (oder sie öffentlich „auszuleben“), und dass Erika und Max Mustermann immer noch Diskriminierung ausgesetzt sind – sei es „nur“ am Arbeitsplatz.
Dennoch sind Prominente in der Regel die Vorboten größerer Mentalitätswandel – wie bei ehemals tabuisierten Bereichen wie chronische Krankheit, familiäre Probleme, sexuelle Orientierung oder Sucht.
Im Fall der neuromentalen Gesundheit sind sie jedoch nur die Spitze des Eisbergs, und ihren öffentlichen Auftritten gingen tektonische Verschiebungen in der Wahrnehmung und Behandlung dieses Problems voraus.
Ganze Bücher wurden über die allmähliche Entstigmatisierung neuropsychischer Erkrankungen im Laufe der Zeit geschrieben. In diesem Zusammenhang können wir daher nur eine kurze und sehr grobe Skizze dieser Entwicklung anbieten.
Zunächst einmal ist es wichtig zu erkennen, dass die Geschichte der Entstigmatisierung alles andere als linear verlaufen ist. Tatsächlich kann man verschiedene Stränge und Zeitachsen erkennen, die sich langsam ineinandergefügt haben, um einen Veränderungsimpuls hervorzurufen. Um nur einige der wichtigsten Entwicklungen zu nennen, die sich im Laufe des 19. oder 20. Jahrhunderts allmählich ereigneten:
Wie bei den meisten (chronischen) Krankheiten wurde dieser langsame Wandel durch die schrittweise Säkularisierung und Verwissenschaftlichung der Gesellschaft ermöglicht. Tatsächlich suchen wir heutzutage selten nach spirituellen oder theologischen Erklärungen für neuromentale Störungen und können sie mit potenziell weniger stigmatisierenden physiologischen oder biopsychosozialen Modalitäten angehen, wie wir es zum Beispiel bei Diabetes oder Krebs tun würden.
Wenn es überhaupt noch Stigmatisierung gibt, dann hängt sie in der Regel mit dem tatsächlichen Auftreten der Krankheit, ihrer Schwere und damit dem Potenzial für eine wirksame Behandlung zusammen. Auch ihre Abweichung von einer einvernehmlichen Realität oder wie sie einer „produktiven“ Beschäftigung und sozialen Inklusion im Weg stehen kann, sind wichtige Faktoren. In der Regel rufen seltenere Diagnosen wie eine Borderline-Persönlichkeitsstörung oder eine Schizophrenie leider immer noch ein tiefsitzendes Unbehagen (oder sogar Angst) hervor, was eine breitere Akzeptanz und Integration verzögert.
Aber neuromentale Störungen sind so allgegenwärtig und in so vielfältiger Weise und Ausprägung vorhanden, dass es uns allen bewusst sein sollte, wie sie sich auf unser Leben und das Leben der Menschen, die wir lieben, auswirken.
Tatsächlich gibt die WHO an, dass psychische, neurologische sowie Sucht-Erkrankungen weltweit jeden achten Menschen betreffen und dass bis zu 85 % von ihnen noch keinen Zugang zu einer fachgerechten Versorgung haben.
Daher ist es höchste Zeit, nicht länger davor zurückzuschrecken, über eine Epidemie dieser Größenordnung mit solch weitreichenden Folgen für unsere Gesundheit und Lebenserwartung zu sprechen. In Teil 2 dieser Serie werden wir uns daher auf weitaus häufigere, aber möglicherweise heimtückischere Verläufe neuromentaler Beeinträchtigung konzentrieren.
Was meinen wir damit?
Ja, Sie haben es erraten: Stress, Anspannung und Trauma, sowie ihre Auswirkungen auf unsere Gesundheit und Lebenserwartung.
Lesen Sie also weiter in Teil 2: demnächst verfügbar!
* Wir verwenden das ungewöhnlich zusammengesetzte Adjektiv „neuromental“, um Störungen abzudecken, die oft entweder als psychisch, neurologisch oder neuroentwicklungsbedingt bezeichnet werden. Wir wählen diesen breiten Fokus auf Störungen sowohl des Gehirns als auch des Nervensystems – wie Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Suchterkrankungen, Demenzerkrankungen, Autismus-Spektrum-Störungen (ASD), Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS), spezifische Lernstörungen (auf Englisch: SLD), Kommunikationsstörungen usw. Diese Störungen verursachen eine Form von psychosozialer Dysfunktion oder Fehlanpassung, die starke Auswirkungen auf zumindest einige Bereiche des täglichen Lebens sowie auf die allgemeine Gesundheit und Langlebigkeit haben. Ferner überspannen die Behandlungsmethoden für diese Störungen in der Regel sowohl die Psychiatrie/Psychologie als auch die Neurologie sowie benachbarte medizinische Fachgebiete.
++++
Quellen und weiterführende Literatur
“Quotations by authors: George Burns [1896-1996]”. The Quotations Page. Online: https://www.quotationspage.com/quotes/George_Burns/
“George Burns”. Wikipedia. Online: https://en.wikipedia.org/wiki/George_Burns
Cainelli E, Bisiacchi P. “Neurodevelopmental Disorders: Past, Present, and Future”. Children. 2023; 10(1):31. doi:10.3390/children1001003. Online: https://www.mdpi.com/2227-9067/10/1/31
O’Hara, Mary. “Mental health is strongest taboo, says research”. The Guardian. February 20th, 2009. Online: https://www.theguardian.com/society/2009/feb/20/mental-health-taboo
“15 celebrities get super real about their mental health issues”. BBC Programmes. 2017. Online: https://www.bbc.co.uk/programmes/articles/4cVPjcFly4TrNWq0XR5lmz7/15-celebrities-get-super-real-about-their-mental-health-issues
Leung, Rebecca. “Carrey: 'Life Is Too Beautiful'”. CBS News. November 18, 2004. Online: https://www.cbsnews.com/news/carrey-life-is-too-beautiful/
“J. K. Rowling One of Many Who Has Felt Suicidal”. ABC News. November 5, 2008. Online: https://abcnews.go.com/Health/Depression/story?id=4542880&page=1
“Lady Gaga says she has PTSD after being raped at 19”. BBC News. December 6, 2016. Online: https://www.bbc.com/news/world-us-canada-38218247
Fisher, Luchina, “How Emma Stone learned to deal with her anxiety and panic attacks”. Good Morning America, October 02, 2018. Online: https://www.goodmorningamerica.com/culture/story/emma-stone-learned-deal-anxiety-panic-attacks-58229370
„Trevor Noah: The 60 Minutes Interview“. YouTube. June 19, 2022. Online: https://www.youtube.com/watch?v=8_gyL3o6dIs
López Restrepo, Manuela, “Lewis Capaldi's Tourette's interrupted his performance. The crowd helped him finish”. NPR. June 26, 2023. Online: https://www.npr.org/2023/06/26/1184395554/lewis-capaldi-glastonbury-set-tourettes-syndrome-mental-health-crowd-eilish
Gronholm PC, Thornicroft G. “Impact of celebrity disclosure on mental health-related stigma”. Epidemiol Psychiatr Sci. 2022 Aug 30;31:e62. doi:10.1017/S2045796022000488. Online: https://www.cambridge.org/core/journals/epidemiology-and-psychiatric-sciences/article/impact-of-celebrity-disclosure-on-mental-healthrelated-stigma/087EA2D893AB48F1431660D977018794
„History of mental disorders“. Wikipedia. Online: https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_mental_disorders
Farreras, I. G. “History of mental illness”. In R. Biswas-Diener & E. Diener (Eds), Noba textbook series: Psychology. Champaign, IL: DEF publishers, 2025. Retrieved from: http://noba.to/65w3s7ex or https://guides.hostos.cuny.edu/psy142/1-4
“WHO Special Initiative for Mental Health”. World Health Organization. Online: https://www.who.int/initiatives/who-special-initiative-for-mental-health
Abbildungen
Allan Warren / Wikipedia / CC
David Garrison / pexels
Tara Winstead / pexels
Ketut Subiyanto / pexels