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Ihre Philosophie des erfolgreichen Alterns
Was verbinden Sie mit „erfolgreichem Altern“? Haben Sie darüber schon nachgedacht?
Was könnte das denn bedeuten: mit eigenen gesunden Zähnen altern, um unbesorgt in knackige Äpfel reinbeißen zu können? Marathonlaufen oder Kitesurfen zu lernen? Bücher ohne Brille lesen? Selbstständig die Welt bereisen? Bis zum Umfallen arbeiten und/oder Nächte durchfeiern?
Aber vielleicht bedeutet es für Sie auch etwas Erhabeneres, wie alle Ihre Ziele und Träume erreicht zu haben … oder die Vision und das Durchhaltevermögen zu kultivieren, um sie noch aktiv zu verfolgen.
Es sei denn, Sie sollten sich mit weniger zufriedengeben? Zum Beispiel: die nötige Resilienz, um Niederlagen und verlorene Träume zu überwinden und die Fähigkeit zu genießen, was auch immer auf Sie zukommt?
Oder haben Sie sich damit schon abgefunden, viel, viel weniger zu erwarten, in der Hoffnung, einfach so (schmerz-)frei wie möglich zu leben?
Vom Paradoxon zur subjektiven Interpretation
In einer Gesellschaft, in der messbarer (wirtschaftlicher) Erfolg scheinbar das Maß aller Dinge ist, fragen Sie sich vielleicht, ob es überhaupt möglich ist, „erfolgreich zu altern“. Tatsächlich wird Altern meist mit Verlust verbunden: Verlust von Gesundheit, Autonomie, Leistung oder Teilhabe …
Aber stehen wir uns nicht selbst im Weg mit dieser Sichtweise – besonders wenn es um solche existenziellen Fragen geht? Was wäre, wenn „erfolgreiches Altern“ eher ein subjektiver Wert wäre, der sich von außen nicht genau einschätzen und messen lässt? Vielleicht ist erfolgreiches Altern einfach das, was ich selbst für erfolgreich halte.
Erfolgreiches Altern durch die wissenschaftliche Brille
Unabhängig davon, ob Sie sich persönlich mit diesem Thema befasst haben oder nicht, ist das Konzept des „erfolgreichen Alterns“ wahrscheinlich das populärste Konzept im Bereich der Gerontologie. Nicht nur dort wird es sehr kontrovers diskutiert, sondern auch in verwandten Disziplinen – von der Psychologie über die Soziologie bis hin zur Gesundheitspolitik. Ursprünglich wurde „erfolgreiches Altern“ als „Fehlen von körperlichen und kognitiven Behinderungen“ verstanden. Ab den 1980er-Jahren wurde es dann von den amerikanischen Forschern John W. Rowe und Robert L. Khan, die die „MacArthur Foundation Study of Aging in America“ leiteten, popularisiert und allmählich angepasst.
Rowe und Khan definierten erfolgreiches Altern zunächst als das Fehlen von Krankheiten, Behinderungen und Risikofaktoren, sodass Krankheit zum ersten Mal nicht als unweigerlich mit dem Alter verbunden angesehen wurde. Ihr Modell eroberte die gerontologische Szene im Sturm, rief aber auch viel Kritik wegen seiner Strenge hervor, da die völlige Abwesenheit von Krankheiten, Behinderungen und Risikofaktoren unrealistisch erschien. Außerdem ließ es Umwelt- und Lebensstilfaktoren außer Acht. Dies veranlasste die Autoren, ihr Modell aufzuweichen und zu erweitern, indem sie Aspekte wie die Aufrechterhaltung der körperlichen und geistigen Funktionsfähigkeit sowie die aktive Teilnahme am Leben einbezogen.
Erfolgreiches Altern: Unterscheidung vs. Interpretation
Aktuellere Rezensionen der Arbeit von Rowe und Khan werfen noch die Frage der Diskriminierung auf, das heißt: Was ist mit Personen, die mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert sind? Sind sie demnach „erfolglos gealtert“? Und was sagt sie über Personen aus, die mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert sind, wie z. B. Fragen der ethnischen Diskriminierung, der Armut oder mangelnder Bildung? Abgesehen von den terminologischen Auswirkungen, die auch alternative Ausdrücke wie „produktives Altern“ oder „gesundes Altern“ (im Gegensatz zum eher vagen „gut Altern“) betreffen, hat sich die Forschung auch mit dem Vergleich zwischen objektivem und subjektivem „erfolgreichen Altern“ befasst.
Eine faszinierende Studie aus dem Jahr 2002 konnte eine große Diskrepanz zwischen den beiden Perspektiven aufdecken: „Auf die Frage, wie sie ihren eigenen Status einstufen würden, stuften sich 50,3 % der Teilnehmer als erfolgreich alternd ein, verglichen mit 18,8 % bei Anwendung der drei recht strengen Kriterien von Rowe und Kahn […]. Dieser große Unterschied ist an sich schon interessant, weil er darauf hindeutet, dass ein viel höherer Anteil älterer Menschen sich selbst als erfolgreich alternd ansieht, als es die von den Gesundheitsexperten vorgeschlagene, populärste Definition nahelegt.“
Diese Erkenntnis ist besonders interessant, weil sie jenseits aller biomedizinischen Modelle des Alterns (die ebenfalls wertvoll sind!) auf die enorme Bedeutung des subjektiven Wohlbefindens für das Gefühl des erfolgreichen Alterns hinweist.
Ein Modell für resilientes Altern
In ihrem 1990 erschienenen Buch „Successful Aging: Perspectives from the Behavioral Sciences“ (Erfolgreiches Altern: Perspektiven aus den Verhaltenswissenschaften) haben die deutschen Psychologen Paul und Margret Baltes eine viel breitere Perspektive auf das Altern eingenommen, indem sie die menschliche Entwicklung auch im Erwachsenenalter und im hohen Alter untersuchten. Das von ihnen auf dieser Grundlage entwickelte, sehr einflussreiche SOC-Modell steht für Selection, Optimization and Compensation (Selektion, Optimierung und Kompensation) und beschreibt ein Modell der adaptiven Kompetenz für die gesamte Lebensspanne.
Das Dorsch, ein deutsches Lexikon der Psychologie, liefert eine überzeugende Kurzdefinition des SOC-Prozesses: „Als Selektion wird dabei die Tendenz älterer Menschen bezeichnet, sich auf wenige wichtige Zielbereiche zu konzentrieren, die widerspruchsfrei mit den noch verfügbaren Ressourcen vereinbar sind. In einem Prozess der Optimierung versuchen die Personen dann, durch Übung noch erhaltener Kompetenzen (Pragmatik der Intelligenz) oder den Erwerb neuer Fertigkeiten sowie verstärkte Anstrengungen die angestrebten Ziele zu verfolgen. Im Fall von Verlusten oder Einschränkungen ist Kompensation, also die Inanspruchnahme von Unterstützung bzw. Hilfsmitteln, oder das Erschließen bisher ungenutzter Ressourcen eine Möglichkeit für Ältere, ihre gesetzten Ziele und Prioritäten aufrechtzuerhalten.“
Das SOC-Modell zeigt somit eine konkrete Umsetzung von Resilienz, die für einer folgreiches Altern sowohl realistischer als auch viel inklusiver ist. Außerdem gibt es dem Individuum implizit die Handlungsfähigkeit zurück – jenseits von offiziellen Beurteilungen durch biomedizinische Institutionen.
Wir hoffen, Ihre Perspektive auf „erfolgreiches Altern“ hiermit erweitert zu haben, damit Sie selbstdefiniert erfolgreich altern können!
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Quellen (Auswahl)
Rowe JW, Kahn RL. “Successful aging”. Gerontologist. 1997 Aug;37(4):433-40. doi:10.1093/geront/37.4.433. Online: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9279031/
Kahn, Robert L., Rowe, John W. Successful Ageing, New York: Pantheon Books, 1998.
John W. Rowe, Robert L. Kahn, Successful Aging 2.0: Conceptual Expansions for the 21st Century, The Journals of Gerontology: Series B, Volume 70, Issue 4, July 2015, Pages 593–596, https://doi.org/10.1093/geronb/gbv025. Online: https://academic.oup.com/psychsocgerontology/article/70/4/593/651547
William J. Strawbridge, Margaret I. Wallhagen, Richard D. Cohen, Successful Aging and Well-Being: Self-Rated Compared with Rowe and Kahn, The Gerontologist, Volume 42, Issue 6, 1 December 2002, Pages 727–733, https://doi.org/10.1093/geront/42.6.727. Online: https://academic.oup.com/gerontologist/article/42/6/727/671748
Successful Aging: Perspectives from the Behavioral Sciences. Eds Margret M. Baltes and Paul B. Baltes, Cambridge: Cambridge University Press, 1990.
Urtamo A, Jyväkorpi SK, Strandberg TE. Definitions of successful ageing: a brief review of a multidimensional concept. Acta Biomed. 2019 May 23;90(2):359-363. doi:10.23750/abm.v90i2.8376. Online: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6776218/
„Altern, erfolgreiches [engl. successful aging]“, Dorsch, Lexikon der Psychologie. Online: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/altern-erfolgreiches
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